Zähes Ringen um Lohnzuwächse im zweiten Rezessionsjahr

In der Sozialwirtschaft fordert die Gewerkschaft um 6,1 Prozent höhere Löhne. Schwieriger dürften die Verhandlungen im Handel ausfallen, da die Wirtschaft in einer Rezession steckt

Anders als bislang gewohnt startet die Herbstlohnrunde diesmal nicht mit einem Funkenflug in der metallverarbeitenden Industrie. Da sich die Metaller im Vorjahr auf einen zweijährigen Abschluss geeinigt haben, eröffnet die Sozialwirtschaft die anstehenden Kollektivvertragsverhandlungen. Fest steht aber schon im Vorfeld: Einen so üppigen Abschluss wie 2023, als die Löhne und Gehälter um 9,2 Prozent angehoben wurden, wird es heuer nicht geben. Allerdings hat auch die den Verhandlungen zugrundegelegte Inflation deutlich nachgelassen, nämlich von 8,7 Prozent im Vorjahr auf voraussichtlich knapp unter vier Prozent.

Eine Pflegekraft in einem Heim.

Genau wird die Verhandlungsbasis, nämlich die Teuerung von Oktober 2023 bis September 2024, zur ersten Verhandlungsrunde am 22. Oktober feststehen. Am Dienstag veröffentliche die Statistik Austria gerade erst die Schnellschätzung für September, in dem sich die Inflation mit 1,8 Prozent vor allem wegen günstigerer Treibstoffe auf den tiefsten Stand seit Februar 2021 abgeschwächt hat.

Wifo-Ökonom Benjamin Bitschi erwartet mit Blick auf die Verhandlungen knapp vier Prozent als rollierende Inflation für die Sozialwirtschaft und verweist auf die in den vergangenen Jahren hohen Abschlüsse und die angespannte Lage der öffentlichen Finanzen. „Ich glaube, dass das schon ein Ankerwert sein wird, um den ein Abschluss wahrscheinlich zustande kommen wird“, sagte er am Dienstag dem Radiosender Ö1. Ob die Verhandlungen wie im Vorjahr schon nach der dritten Runde abgeschlossen werden können, damals mit einem 0,5-prozentigen Reallohnzuwachs für die fast 130.000 Beschäftigten, bleibt abzuwarten – die Verhandlungspartner gehen von einer Einigung bis Ende November aus.

„Keine Gewinne zu verteilen“

„Wir haben keine Gewinne zu verteilen wie die Metaller“, bremst Geschäftsführerin Yvonne Hochsteiner von der Sozialwirtschaft Österreich die Erwartungen. Denn die aus demografischen Gründen wachsende Pflegebranche sucht zwar händeringend nach Fachkräften. Aber auch wenn die aktuellen Verhandlungen formell privates Pflegepersonal und Freizeitbetreuerinnen betrifft – zu den größten Arbeitgebern zählen Hilfswerk, Volkshilfe und Caritas –, kommen deren Gehälter größtenteils aus der öffentlichen Hand. Deswegen gelten als Richtschnur für die Erhöhungen in der Sozialwirtschaft und aller anderen Branchen die Pensionen. Diese werden 2025 um 4,6 Prozent steigen. Dieser Wert ergibt sich nach der Veröffentlichung der Schnellschätzung der Statistik Austria zur Juli-Inflation. Endgültig feststehen wird der gesetzliche Anpassungsfaktor dann im September. Die Regierung hat sich zuletzt darauf geeinigt, diesen Faktor für die jährliche Pensionsanpassung zu übernehmen.

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Hochsteiner hofft auf Augenmaß der Arbeitnehmerseite und verweist auf die guten Abschlüsse der vergangenen Jahre. Verhandlungsführerin Eva Scherz von der Gewerkschaft GPA pocht jedoch auf eine „angemessene Lohnerhöhung“ und eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Konkret fordert sie ein Lohnplus von 6,1 Prozent sowie Maßnahmen zur Entlastung, etwa mehr Urlaub und eine geringere Normalarbeitszeit. „Die Arbeit im Gesundheits- und Sozialbereich ist hoch professionell“, sagt Scherz, „so muss sie auch bezahlt werden.“ Einmal mehr wird es auch um den steigenden Druck in der Pflege- und Betreuungsbranche gehen. Denn der Arbeitskräftemangel führt dazu, dass die Belastung der Beschäftigten – zu 70 Prozent Frauen, überwiegend teilzeitbeschäftigt – enorm ist. Dem wurde bei den vergangenen KV-Verhandlungen Rechnung getragen, indem etwa die Bezahlung während der Nachtbereitschaft stieg oder der Zuschlag fürs Einspringen erhöht wurde.

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„Wahrscheinlich wird die Sozialwirtschaft recht schnell abschließen“, erwartet IHS-Chef Holger Bonin mit Blick auf personelle Engpässe im Pflegebereich. Wesentlich zäher dürfte sich unter anderem das Ringen um Lohnzuwächse im Handel gestalten. Die Rezession dürfte die Arbeitgeber stärken, die Arbeitslosigkeit steigt in der Branche, die Zahl der Insolvenzen ebenfalls. „Insofern wird sich die Arbeitnehmerseite zurückhalten, um nicht zusätzlich Beschäftigung zu gefährden.“ Auch hier stehen knapp vier Prozent Inflation im Raum zuzüglich Produktivitätsgewinnen, die jedoch Bonin zufolge im Handel „sehr gering“ sind. Kommenden Montag wird die Gewerkschaft Vida ihre Forderungen in der Herbstlohnrunde nicht nur für den Handel vorlegen. Es wird auch um die Beschäftigten bei den Eisenbahnen, in der Güterbeförderung (Lkw), bei Kleintransporteuren und in der Reinigung gehen. Insgesamt wird über die Löhne für insgesamt 222.500 Beschäftigte verhandelt – vor dem Hintergrund steigender Arbeitslosigkeit.

Denn die anhaltende Wirtschaftsflaute macht sich zunehmend auch am Arbeitsmarkt bemerkbar. Ende September waren 354.665 Personen beim Arbeitsmarktservice arbeitslos oder in Schulung gemeldet. Im Vergleich zum Vorjahresmonat ist die Zahl der Arbeitslosen und Schulungsteilnehmer um 10,6 Prozent gestiegen, im Handel fiel der Zuwachs mit fast zwölf Prozent etwas stärker aus. Die Arbeitslosenrate erhöhte sich um 0,6 Prozentpunkte auf 6,6 Prozent. „Leider lassen weder die Konjunkturprognose noch die gestiegenen Arbeitslosenzahlen oder die offenen Stellen einen baldigen Aufschwung erkennen“, befürchtet AMS-Vorständin Petra Draxl.

„Verunsichert und gefühlt ärmer“

Für die heimische Konjunktur zeichnet IHS-Chef Bonin ein weiterhin düsteres Bild, trotz abklingender Teuerung sitzt die Inflation vielen noch in den Knochen. „Die Menschen fühlen sich nach wie vor verunsichert, und sie fühlen sich ärmer als zuvor“, sagt Bonin. Dabei seien sie hierzulande dank der Lohnzuwächse „bessergestellt, auch bessergestellt als in vielen anderen Ländern“. Wegen nicht gegen Inflation geschützter Sparguthaben seien sie aber weniger wohlhabend geworden.

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Anlass zur Euphorie werden wohl auch die am Freitag anstehenden Herbstprognosen der beiden Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS nicht geben. Erst zu Wochenbeginn hat die Statistik Austria die Entwicklung im Vorjahr revidiert, wonach die Wirtschaftsleistung nicht wie vorher angenommen um 0,8 Prozent, sondern um ein Prozent gesunken ist. (Alexander Hahn, Regina Bruckner, 1.10.2024)